Kirchliches Wurstessen im Draculaclub in St. Moritz, eine Provokation?

Auf Einladung der reformierten Kirchgemeinde Oberengadin fand am Samstag eine Diskussionsrunde mit anschliessendem Wurstessen statt. Eine von mehreren Veranstaltugne zur Jubiläumsfeier „500 Jahre Zwingli“.

Hand aufs Herz: Wie provokativ ist ein Wurstessen der reformierten Kirchgemeinde im Draculaclub in St. Moritz? - Eben, heute stösst sich kaum mehr jemand an einem solchen Szenarium. Vor 500 Jahren war das anders: Am ersten Sonntag der Fastenzeit nahm damals der ordinierte Priester am Grossmünster in Zürich, Huldrych Zwingli (1484-1531) an einem Wurstessen teil. Das war ein ungeheuerlicher Verstoss gegen Regeln und Sitten der damaligen Zeit – heute vielleicht vergleichbar mit der Aufregung, die entstehen würde, wenn Muslime im Fastenmonat Ramadan Schweinefleisch essen und Alkohol trinken.

Zur 500 Jahrfeier des Schweizer Reformators Huldrych Zwingli hatte die reformierte Kirchgemeinde Oberengadin übers vergangene Wochenende verschiedene Angebote parat:


Die Diskussion
Moderiert von Pfarrer Michael Landwehr aus Samedan fand am Samstag Mittag im Draculaclub in St. Moritz eine Podiumsdisussion statt mit dem Gemeindepräsidenten von St. Moritz, Christian Jott Jenny, dem Pfarrer am Grossmünster Zürich, Christoph Sigrist, Schauspielerinnen der Helferei Zürich und dem Leiter des Ensembles, Hans Strub. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage: „Wie reformfreudig sind die Reformierten?“

Mit einer Anekdote bot der Grossmünsterpfarrer gleich zu Beginn der Diskussion eine Steilvorlage: Die Statue Zwinglis, die jahrzehntelang im Schatten der Wasserkirche in Zürich ein beschauliches Dasein gefristet hatte, wurde anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten von ihrem Sockel gehoben und siehe da, sie hatte Rost angesetzt. Nun wird sie restauriert. Kann diese Statue nicht Sinnbild für den Glauben sein?


Statt von „Reform“ sprachen die Anwesenden in der Folge lieber von „Transformation“.
Mit dem Begriff „Reform“ ist die Angst verbunden, die eigene Identität zu verlieren. Dem
steht die „Transformation“ gegenüber, die Bestehendes erhält und verändert.


„Transformationen“ sind in der reformierten Kirchge durchaus auszumachen: Allein der Tagungsort der Diskussion im Draculaclub lässt aufhorchen. Das Jubiläum 500 Jahre Zwingli wird ausserdem mit einem Theaterprojekt begangen, das historische Szenen aus der Zeit der Zürcher Reformation zeigt und diese in Beziehung zur Gegenwart stellt. Nicht zuletzt ist der Zusammenschluss der reformierten Kirchgemeinden im Oberengadin eine „Transformation“: Das „ich“ bleibt im „wir“ bestehen.


Damals wie heute ergeben sich Transformationen aus Veränderungen der Gesellschaft: Zwingli scheint damals die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und hat mit der Reformation einen tiefgreifenden Wandel im Glauben herbeigeführt.


Voraussetzung für das Gelingen einer Transformation ist, da waren sich die Teilnehmenden in der Diskussionsrunde einig, ein gewisser Leidensdruck. In einer Wohlstandsgesellschaft wie der unsrigen sind Veränderungen schwierig durchzusetzen.


Die Erfindung des Buchdrucks verhalf der Reformation zum Durchbruch. So flutete Huldrych Zwingli die Stadt förmlich mit Flugblättern, die seine Gedanken enthielten.


Und der Reformator hatte eine Vision, war überzeugt von seinen Ideen und nahm dafür
Anfeindungen in Kauf.


Die Diskussionsrunde endete mit einem Apell, wie Hudrych Zwingli vor 500 Jahren als Kirche heute in Themen unserer Zeit wie der Klimadebatte oder der „Ehe für alle“ eine führende Rolle zu übernehmen. In Anspielung an den Draculaclub, wo die Veranstaltung stattfand, sprach eine Schauspielerin in diesem Zusammenhang treffend vom „Biss“, der die Kirche ausmacht.


Lutheraner – Zwinglianer
Abschliessend ein Wort zum Reformationsverständnis des Deutschen Theologen Martin Luther (1483-1546) und demjenigen des Schweizers Huldrych Zwingli (1484-1531): Ein unüberwindbarer Streit drehte sich um das kleine Wort „ist“ bzw. „est“ im lateinischen Satz: „Hoc est corpus meum“(„dies ist mein Leib“). Luther hielt daran fest, dass Christi in Brot und Wein leibhaftig gegenwärtig war während Zwingli Brot und Wein als Zeichen dafür sah, dass Christus seinen Leib und sein Blut hingegeben hatte. Rund 450 Jahre mussten vergehen, bis 1973 gemeinsame Abendmahlsfeiern möglich wurden. Wie im katholischen Glauben bleibt dennoch letzlich das Geheimnis des Glaubens bestehen.


Ester Mottini