Sgraffito Spaziergang durch Chamues-ch

Mehrmals in der Woche bietet Pfarrer David Last Spaziergänge durch Bever oder Chamues-ch an, in denen anhand der Sgraffiti an den Häusern Geschichte, Kultur, Mentalität und Lebensart der Einheimischen erklärt werden.

Wie die Sgraffiti ins Engadin kamen
Entgegen der landläufigen Auffassung gehören Sgraffiti nicht schon immer zum Engadin.
Noch vor 550 Jahren standen Holzhäuser nach Art der Walserhäuser hier. Auf ihrem Rückzug brannten die Habsburger im Schwabenkrieg 1499 einen Grossteil der Häuser im Engadin nieder. Für den Wiederaufbau griffen die Dorfbewohner in der Folge nicht mehr auf Habsburger als Architekten zurück, sondern auf italienische Baumeister. Diese entwarfen Steinhäuser und brachten die Sgraffitotechnik aus Südeuropa mit: Bei diesem Verfahren werden zwei Kalklagen unterschiedlicher Farbe auf die Mauer aufgetragen, wobei die untere Schicht leicht angehärtet ist, bevor die zweite Schicht darüber gelegt wird. Zeichnung oder Schrift werden anschliessend aus der oberen Schicht ausgeritzt. In Susch bietet ein Künstler Besuchern die Möglichkeit, eigene Sgraffiti herzustellen und die Tafeln anschliessend nach Hause zu nehmen.


Alte Inschriften auf neuen Häusern
In Chamues-ch stammen viele Häuser aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Auch wenn die Bauten nicht historisch sind, zieren oft alte Bildmotive und Inschriften die Fassaden.


Wellen an einzelnen Häusern weisen auf die Gefahr von Überschwemmungen durch den Inn hin. Der Name des Flusses „Inn“ leitet sich von der alten keltischen Flussgottheit Enna ab. Sie wird mit zwei  Fischen dargestellt, die sie als Opfergabe in den Händen hält. Damit sollte sie gnädig gestimmt und verhindert werden, dass der Fluss über die Ufer tritt. Ähnlich wie an alten Kirchen finden sich auch an Hausfassaden in Chamues-ch Dämonen und andere Ungeheuer. Durch ihre bildliche Darstellung werden sie gleichsam gebannt und verlieren so ihren Schrecken. Das Haus war vor ihnen sicher. Ein Boot kann als christliches Motiv gedeutet werden, das zusätzlich Schutz gegen Unbilden der Natur
bietet.


Als eine der wenigen Kirchen in Europa ziert das Motiv der „Maria lactans“ - also der Gottesmutter, die ihren Sohn Jesus stillt - ein Fresko im Innern der Gemäuer von San Andrea.


Die Melancholie im Engadin
Vögel stehen als Motiv für die Flüchtigkeit des Augenblicks und des Glücks. Als „Randulinas“ - also Schwalben - werden Engadinerinnen und Engadiner bezeichnet, die in die Fremde ziehen, aus Heimweh aber doch immer wieder zurückkommen. Früher haben Engadiner als Zuckerbäcker ihr Glück in der Ferne gesucht oder sind in fremde Kriegsdienste getreten. Die romanische Sprache ist zwar südländisch, die „ö“ und „ü“ darin verraten aber den Einfluss des Nordens. Der Blick nach innen, die Melancholie drückt sich in den meist eher schwermütigen romanischen Liedern oder auch im folgenden
Sprichwort aus, das sich an einer Hausfassade findet:
„Tü hest que cha tü fest: paradies u infiern in tieu intern“ oder zu Deutsch: „Du hast, was du tust: das Paradies oder die Hölle in deinem Inneren“. Abgemildert wird diese Weisheit allenfalls durch den christlichen Spruch auf der anderen Seite des Hauses: „Mit Gott als Weggefährten hast du einen guten Bund geschlossen.“ Auf Romanischer heisst lautet dieser: „Cun Dieu da cumpagnia hest fat ‘na buna  lia“


Ester Mottini