Orientierungsversammlung vom 19.08.2021, wir sind auf guten Weg

Wie die Kirchgemeindeversammlung im Frühling bestand auch die aktuelle aus zwei Teilen, wobei diesmal ein straffes Zeitmanagement eingehalten wurde. Andreas Hurter aus Zürich moderierte die Veranstaltung: Als ehemaliger Präsident des reformierten Stadtverbandes bzw. der Kirchenpflege der Stadt Zürich ist er bestens mit der Landeskirche vertraut und bringt als Projektleiter der Fusion der 34 städtischen Kirchgemeinden zu einer einzigen wertvolle Erfahrungen im Umgang mit einem so difficilen Prozess mit.

Pfarrer Peter Senn-Müller aus Samedan eröffnet am 19. August 2021 die Orientierungsversammlung der Kirchgemeinde mit den Losungsworten aus dem Brief an die Philipper (4,4): „Freut euch im Herrn allezeit! Der Herr ist nahe.“ Dass die Worte in Bezug auf den Anlass nicht nur ein frommer Wunsch blieben, wurde im Laufe des Abends klar.

Gleich zu Beginn stellte Andreas Hurter fest, dass derzeit viele, ja zu viele Themen die Kirchgemeinde beschäftigten: Neben der neuen Kirchgemeindeordnung sind das die Fusion mit der Klärung der verschiedenen Rollen oder die Liegenschaften um nur die wichtigsten zu nennen. Schritt für Schritt müssten sie angegangen werden, Lösungen brauchten Zeit.

Eine neue Kirchgemeindeordnung

Seit dem 1. Januar 2019 ist eine neue Verfassung der evangelisch-reformierten Landeskirche Graubünden in Kraft. Wie alle anderen Kirchgemeinden im Kanton muss in der Folge auch refurmo OBERENGADIN ihre Kirchgemeindeordnung bis Ende Jahr anpassen.

Wie bei einer Verfassung geht es, wie Andreas Hurter feststellte, auch bei der Kirchenordnung darum, einen Handlungsrahmen abzustecken, ohne jedoch alles im Detail zu regeln. Die Kunst bestehe darin, hier eine Balance zu finden.

Gemeinsame Gemeindeleitung

Den grössten Diskussionsbedarf zog der in der Verfassung der Landeskirche im Artikel 9 Punkt 2 formulierte Satz nach sich: „Die Mitglieder des Kirchgemeindevorstandes und des Pfarramtes sorgen für den Gemeindeaufbau und leiten die Gemeinde gemeinsam.“

In mehreren Sitzungen definierten Vorstand und Pfarrkonvent der Kirchgemeinde, was genau „gemeinsame Gemeindeleitung“ meint und erarbeiteten ein Instrumentarium dafür.

Aus bisher acht Pfarrämtern wird neu ein Pfarramt mit Stellen für Pfarrpersonen und Sozialdiakoninnen. Der Schritt hin zu einem einzigen Pfarramt widerspiegle, wie Pfarrer Andreas Wassmer aus St. Moritz ausführte,  die innere Grundhaltung zu einer Gesamtgemeinde mit der Verantwortung für das Ganze. Die Gemeindeleitung obliegt demnach wie in der landeskirchlichen Verfassung vorgesehen, dem Vorstand und diesem Pfarramt. Der Konvent tritt dabei als Partnerorganisation neben den Vorstand. Beide nehmen gegenseitig Einsitz in die verschiedenen Gremien. Ein eigener Abschnitt der neuen Kirchenordnung widmet sich dieser Zusammenarbeit (Abschnitt F Art. 26). 

Die Kreiskommissionen werden aufgewertet

Der Präsident, Gian - Duri Ratti, zählte weitere Punkte der neuen Kirchenordnung auf: Nicht zuletzt aus Kostengründen wird die Kirchgemeindeversammlung als beschlussfähiges Organ der Urnenabstimmung vorgezogen.

Die Kreiskommissionen Seen, Mitte und Plaiv sind in ihren Orten gut verankert, direkt an der Basis und erste Analaufstelle für Kirchgemeindemitglieder. Dieser Stärke wird in der neuen Kirchgemeindeordnung Rechnung getragen und die Kreiskommissionen entsprechend aufgewertet. Waren sie bis anhin einzig für den Gottesdienstplan zuständig, werden ihre Aufgaben in Absatz I Art. 34 neu wie folgt umrissen: „Die Kreiskommissionen koordinieren das kirchliche Leben und Handeln innerhalb des jeweiligen Kreises. Insbesondere kümmern sie sich im Blick auf die ganze Gemeinde um die bedarfsgerechte gedeihliche Entwicklung der auf ihrem Gebiet tätigen lebensräumlichen und lebensweltlichen kirchlichen Orte (…)“. Eigentümlich formuliert greift dieser Artikel einen Grundsatz auf, der im Leitbild wie folgt lautet: “ Wir nehmen alle unsere lokalen Eigenheiten im Oberengadin wahr und arbeiten mit diesem Reichtum.“ Die Kreiskommissionen sind dafür das passende Instrument.

Neu findet zweimal im Jahr eine Mitarbeitendenkonferenz statt. Ihr Ziel ist es, die verschiedenen Angestellten der Kirchgemeinde untereinander zu vernetzen und ihnen innerhalb der Kirchgemeinde eine Stimme zu verleihen, auch dieses Instrument ist eine deutliche Verbesserung.

Konstruktive Anregungen

In der anschliessenden Diskussion konnten Zusammenhänge aufgezeigt und Emotionen in sachliche Bahnen gelenkt werden.

Anstelle einer von Michael Pfäffli geforderten Synopse, die Änderungen der neuen Kirchenordnung dem Wortlaut der bisherigen gegenüberstellt, wird für die Abstimmung ein Mitwirkungsbericht verfasst. Verglichen mit der bisherigen Kirchenordnung hat sich schlicht zu vieles geändert und eine Gegenüberstellung der Wortlaute gar nicht möglich. Liegen beide Texte nebeneinander, wird das augenscheinlich.

Wie Versammlungen der politischen Gemeinden sind selbstverständlich auch Kirchgemeindeversammlungen öffentlich. Für politische Gemeinden fehlt der explizite Hinweis darauf, dem Wunsch von Regula Degiacomi, dies in der Kirchgemeindeordnung von refurmo OBERENGADIN schriftlich festzuhalten, kann aber ohne weiteres entsprochen werden.

Die Entscheidung über Kauf und Verkauf von Liegenschaften bei refurmo OBERENGADIN liegt selbstverständlich bei der Kirchgemeindeversammlung. Dank des Hinweises von Paola Fliri wird die Kirchgemeindeordnung unter Absatz B Art. 12 entsprechend ergänzt.

Gleich mehrmals an diesem Abend betonte der Moderator Andreas Hurter, dass jede Kirchgemeindeordnung in verschiedener Hinsicht ein Kompromiss darstelle:
Wie weit kann beispielsweise die Autonomie der Kreise in der zentralen Frage des Budgets gehen, ohne Ungerechtigkeiten zu schaffen und die Einheit zu gefährden? Hier wurde in gutschweizerischer Manier nach einem Mittelweg gesucht.

Was die Personalführung angeht, war Roman Bezzola aus Zuoz der Meinung, diese sei im vorliegenden Entwurf zu offen formuliert. Hier gab Andreas Hurter zu bedenken, dass Änderungen an diesem Grundlagenpapier nur in einer Kirchgemeindeversammlung beschlossen werden dürften und weiterführende Bestimmungen wahrscheinlich ein effektiveres Instrument dafür wären.

Als Mitarbeitende der „Bodencrew“ der Kirchgemeinde stellt Ester Mottini, Organistin und Chorleiterin aus St. Moritz, fest, dass viele Angestellte Aufgaben übernehmen, die über die in ihrem Pflichtenheft definierten hinausgingen, dass sie flexibel und motiviert sind. Dieses Engagement drohe in der aktuellen Diskussion vergessen zu gehen. In Mitarbeitendengespräche sieht sie ein wertvolles Führungsinstrument, die Zuständigkeiten dafür sind klar geregelt.

Wie in jedem demokratischen Prozess geht es darum, wie Andreas Hurter feststellt, sich im Gegenstromprinzip einander von unten und von oben anzunähern, um sich schliesslich in der Mitte zu treffen oder wie es im Leitbild sinngemäss heisst, die Vielfalt in der Einheit zu leben.

Der „Fahrplan“

Die zweite Lesung der Kirchgemeindeordnung wird an den Kirchenrat geschickt, der prüft, ob sie mit der Verfassung der Landeskirche kompatibel ist. Die Urnenabstimmung ist für den 28. November geplant, sodass die neue Kirchgemeindeordnung hoffentlich am 01. Januar 2022 in Kraft treten kann.

Fortsetzung der Aussprache vom Mai dieses Jahres

Obwohl der erste Teil der Versammlung sich einer so trockenen Materie wie der neuen Kirchgemeindeordnung gewidmet hatte, war damit der Boden für konstruktive Gespräche im zweiten Teil des Abends bereits gelegt.

Hier ging es in erster Linie darum, das Gespräch rund um die Abgänge von Pfarrpersonen und des Sozialdiakons fortzuführen.

Dem in der Frühlingsversammlung gestellten Antrag wird in der Kirchgemeindeversammlung vom 23. November mit einem Bericht zu den Austrittsgesprächen mit den betreffenden Personen, die die Gemeinde verlassen haben, entsprochen. Die Gespräche werden von einer unabhängigen Stelle bzw. Person durchgeführt: Esther Maurer, ehemalige Stadträtin von Zürich und Vizedirektorin im Staatssekretariat für Migration des Bundes. Sie wird in der Versammlung anwesend sein und Fragen beantworten.

Der Abgang von Pfarrer Dominik Fröhlich-Walker aus Pontresina wird nicht nur von Mitgliedern der Gemeinde sehr bedauert, sondern auch vom Vorstand. Es versteht sich aber von selbst, dass die Familie gemeinsam neue Wege gehen wollte.

Ende 2020 waren 5‘168 Menschen im Oberengadin Mitglieder der reformierten Landeskirche. Früher oder später müssen tragbare Lösungen für den teuren Unterhalt der vielen Kirchen gefunden werden. Erste Sondierungsgespräche mit Gemeinden sind eine Möglichkeit. Die Traktandenliste der Gemeindeversammlung von Silvaplana in dieser Sache war unglücklich formuliert. Es gehe, wie Gian-Duri Ratti betonte, einzig darum, ob die Überführung der Liegenschaften in eine Stiftung vielleicht ein gangbarer Weg wäre. 

Ziemlich genau nach zwei Stunden wurde die Versammlung mit einem Segenswort von Pfarrer Peter Senn-Müller beendet.

Alle Befragten hatten die Versammlung als konstruktiv erlebt, auch der Moderator Andreas Hurter hatte viel positive Energie wahrgenommen und ist zuversichtlich, dass refurmo OBERENGADIN auf gutem Weg zu einer starke Kirchgemeinde ist.

Ester Mottini