Gestalt, Seele und Ansehen durch die Reformation

Im Rahmen von „forum refurmo“ wartete Rico Valär, Dozent für romanische Sprache und Literatur an der Universität Zürich, am 1. Juni 2021 in Celerina mit einem packenden Vortrag auf zum Thema „die Reformation und die Geburt der rätoromanischen Schriftsprache“.

Von den fünf romanischen Idiomen gehört das im Oberengadin gesprochene Puter zu den stark vom Aussterben bedrohten Sprachen. Umso überraschender war es zu erfahren, dass die erste gedruckte romanische Bibel ausgerechnet in Puter geschrieben war. Sie erschien 1560 und war damit gleichzeitig der erste gedruckte Text in romanischer Sprache.

Die zweite bemerkenswerte Erkenntnis an jenem Vortrag betrifft Diskurse unter Romanischsprechenden im Oberengadin: Sie sind dieselben wie vor 500 Jahren.

 

Bedenken gegen eine Bibel in romanischer Sprache

Jachiam Bifrun (1506-1572) aus Samedan war zwar Jurist, teilte aber die Auffassung der Reformatoren, dass die Menschen das Wort Gottes in ihrer Muttersprache erfahren sollten und übersetzte kurzerhand das Neue Testament ins Romanische.

Im Vorwort nimmt der Autor mögliche Kritik an seinem Werk vorweg und widerlegt sie:

Dem Einwand, die romanische Sprache lasse sich nicht schreiben, setzt er die deutsche und die französische Sprache entgegen, die ungleich schwieriger seien und doch in schriftlicher Form vorlägen. Dass das Romanische eine Bauernsprache und deshalb für die Übersetzung der Bibel gänzlich ungeeignet sei, weist der Autor zurück.

Die folgenden Bedenken sind von Romanischsprechenden im Oberengadin bis heute zu hören:

Wird das Romanische in Wort und Schrift gelebt, lernen die Kinder kein Deutsch und finden später kein Auskommen ausserhalb des Tals. Diesem Einwand hält Jachiam Bifrun die natürliche Wissbegier der Menschen entgegen. Je mehr sie lernten, desto mehr Freude fänden sie daran.

Der Samedner schloss sein Vorwort mit der Hoffnung, dass sich klein und gross an seiner Bibelübersetzung erfreuten.

 

Weitere romanische Idiome entstehen

1562 zog Durich Chiampell (um 1510-1582) aus Susch mit einem Buch der Psalmen nach. Im Vorwort betont er, er wolle etwas in der Sprache des Herzens „ilg qual saia ad eaus plü in amm“ schreiben und meinte damit das „Vallader“. Mit seiner sanften Sprachmelodie wird dieses Unterengadiner Romanisch bis heute liebevoll als „Sprache des Herzens“ gepflegt.

Zwei Engadiner, Steffen Gabriel (1570-1638) und sein Sohn Luzi trugen die Reformation ins Bündner Oberland. Daraus erwuchsen das Sursilvan und das Suotsilvan, Mitte des 17. Jahrhunderts kam das „Surmeran“ als fünftes romanisches Idiom hinzu.

Die Reformation, folgerte Rico Valär, besass also eine grosse Bedeutung für die romanische Schriftsprache.   

Der Vortrag war auf Romanisch, besonders erfreulich war die Anwesenheit von etlichen Jugendlichen, die gar aus dem Unterengadin angereist waren.

Nächste Veranstaltung von „forum refurmo“

Am Freitag, 22. Juli 2022 beleuchtet Pfarrer Hans-Peter Schreich in Sils die Auswirkungen der Reformation auf Gesang und Musik. #refurmo

Ester Mottini