Der Gemeindegesang im reformierten Glauben

Im Rahmen der Bildungsreihe „forum refurmo“ beleuchtete Pfr. Hans-Peter Schreich in einem Vortrag in der offenen Kirche Sils die Auswirkungen der Reformation auf den Kirchengesang im Oberengadin. War das Singen in katholischen Messfeiern im Wesentlichen der Priesterschaft vorbehalten, wurde das Kirchenlied im reformierten Gottesdienst ein wichtiges Instrument der Verkündigung. Das Wort Gottes sollte von den Gläubigen nicht nur verstanden werden, sondern auch ihr Herz bilden. Was eignet sich dafür besser als Gesang?

Lieder zur Herzensbildung

So liess der Genfer Reformator Johannes Calvin (1509-1564) Psalmtexte des Ersten Testaments in Versform giessen und zu Liedern vertonen. Für die Melodien galten klare Regeln, so durften sie nicht in einem tänzerischen Dreierrhythmus, sondern mussten würdig und getragen „avec poids et majesté“ daherkommen. 1562 erschien der Genfer Psalter. Diese Sammlung von Psalmliedern fand grossen Anklang und wurde in 22 Sprachen übersetzt. Drei Jahre später schuf Claude Goudimel (1514-1572) einfache vierstimmige Tonsätze dazu.

Dorfstatuten regelten fortan den Gesang in der Gemeinde und ein Chor wurde bezahlt, mehrstimmige Psalmlieder im Gottesdienst zu singen. 1684 widmete sich in Ramosch die „Cumpagnia da musicants“ dieser Aufgabe.

Im 18. Jh. bringt ein Lehrer Planta aus Zuoz Noten des holländischen Komponisten Jan  Pieterszoon Sweelinck (1562-1621) ins Engadin. Anlässlich einer Synode wird der Psalm „Wie der Hirsch nach frischer Quell“ in einer siebenstimmigen Vertonung Sweelincks vorgetragen, was grossen Eindruck machte. Bis heute finden sich Stimmbücher dieser Psalmen in alten Engadiner Häusern in Zuoz.

 

„Singgefecht“ zwischen Katholiken und Reformierten

Seit der Zeit Karls des Grossen im 8. Jahrhundert n.Chr. war die Kirche Santa Maria in Silvaplana Wollfahrtsort für katholische Gläubige. Obwohl die Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes inzwischen mehrheitlich reformiert waren, blieb sie das auch nach der Reformation.
Anlässlich einer grossen Wallfahrt zur heiligen Maria von Silvaplana im Jahr 1719 kam es zu einer gesanglichen Auseinandersetzung zwischen katholischen Pilgerinnen und Pilgern und reformierten Einheimischen.
Als die katholischen Gläubigen mit dem „Salve Regina“ der Gottesmutter Maria im Gesang huldigten, schmetterten die Reformierten ihnen auf der anderen Seite der Apsis mit der „Hugenottenmarseillaise“ ihre Psalmlieder entgegen.

Auf dem Youtubekanal von refurmo findet sich die Aufzeichnung des Vortrags von Hans-Peter Schreich.

Ester Mottini